Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind zwei Konzepte, die als Reaktion auf die Verbrechen der Nazis an den europäischen Juden entwickelt wurden. Hersch Lauterpacht prägte das Konzept „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und Raphael Lemkin „Genocide“. Doch wie unterscheiden sich diese beiden Konzepte?
Das Wort Völkermord oder Genozid ist ein höchst umstrittenes Wort. Warum? Es ist mehr als nur ein Begriff oder ein Werkzeug für historische, politische oder moralische Analysen. Vielmehr birgt es legale Konsequenzen und wird daher wie die Büchse der Pandora behandelt. Um sich dieser legalen Konsequenzen zu entledigen, wird nicht selten der Begriff „Ethnische Säuberung“ genutzt, was wiederum ein menschenverachtender Euphemismus ist. Man nutzt ihn, um von systematischem Massenmord zu sprechen, ohne das Wort Völkermord benutzen zu müssen. „Ethnische Säuberung“ kommt zwar in einigen UN-Dokumenten und in der Wissenschaft vor, hat aber weder eine klare und formale Definition noch einen legalen Status.
KZ Sachsenhausen
Text: Corinna in Kooperation mit Survival International
Das wissenschaftliche Verständnis von Völkermord beruht zumeist auf dem Holocaust-Modell: Massenmord, Konzentrationslager sowie die sofortige und gewaltsame Zerstörung der Opfergruppe. Doch es gibt auch eine Art von Völkermord, die über Jahrzehnte oder sogar Generationen andauert. Die Rede ist von kulturellem Völkermord. Hierbei werden die Opfer ganz langsam und scheinbar unmerklich ausgelöscht, indem ihre Lebensgrundlage zerstört, die Ausübung ihrer Kultur, Sprache und Religion verboten wird und indem sie der Möglichkeit beraubt werden, sich selbst zu ernähren und zu verwalten.1
Foto: Survival International / verhungernde Aché-Indigene, kurz nachdem sie gefangen genommen und aus dem Wald in das ‚Reservat‘ gebracht wurden, Paraguay 1972
#Ethnische Säuberung
Der Begriff „Ethnische Säuberung“ wurde im Zusammenhang mit dem Krieg und Zerfall von Jugoslawien in den 1990’er Jahren geprägt.
Ethnische Säuberung bezieht sich meist auf eine geografische Region mit dem Ziel, eine bestimmte Gruppe aus dieser Region gewaltsam zu entfernen oder diese Gruppe zu zerstören. Die beiden Begriffe „Ethnische Säuberung“ und „Genozid“ sind überlappend und teilweise nicht ganz klar abtrennbar, da die angewandte Gewalt und Maßnahmen dieselben sind.
Foto: Thomas Matthias
#Warnzeichen – Die 10 Stufen eines Genozids
„Ein Genozid ist kein vorhersagbares Endprodukt eines fein säuberlich ausgelegten Plans, sondern ein bedingtes Ergebnis eines komplexen sozialen und politischen Prozesses“.1
Ein Völkermord geschieht nicht von heute auf morgen, sondern ist ein Prozess mit mehreren Phasen. Diese Phasen sind vorhersehbar, aber nicht unaufhaltsam. In jeder Phase können Präventionsmaßnahmen angewandt werden, die eine Ausbreitung des Genozids verhindern. Auch wenn hier 10 Phasen aufgeführt werden, verlaufen sie nicht immer linear; manche Phasen können sich überschneiden, die Übergänge sind oft fließend.
Dieser Text wurde nach freier Übersetzung und mit kleineren Abänderungen von Gregory H. Stanton, Präsident von Genocide Watch, übernommen.
#Genocide (Genozid, Völkermord)
(griech. genos = Rasse, Volk / lat. caedere = töten)
#Definition
Das Wort ‚Genocide‘ ist zusammengesetzt aus dem griechischen Wort genos (Rasse/ Volk) und dem lateinischen Wort caedere (töten). Es wurde von dem polnischen Juden und Anwalt Raffael Lemkin 1944 in seinem Buch „Axis Rule in Occupied Europe“ eingeführt. Er war darüber entsetzt, dass es kein Gesetz gab, auf dessen Grundlage die Verantwortlichen des Massenmords an den Armeniern während des 1. Weltkriegs hätten bestraft werden können. Er war schockiert, dass eine ganze Nation umgebracht wurde und die Verantwortlichen dafür frei herumliefen. Warum sollte der Mord an Millionen von Menschen weniger schlimm sein als der Mord an einer einzigen Person?[1]